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Kaum zu fassen: Smarte Mobilität

Matthias Oswald und Alex Stahel

Wer Fachleute fragt, was sie unter smarter Mobilität verstehen, erhält sehr vage Antworten. Der Begriff lässt vieles offen und gleicht einem glitschigen Fisch, der schwierig zu fassen ist. Wir wagen es, nach dem Fisch zu greifen, und plädieren dafür, weniger den Weg der technischen Innovation, als vielmehr das Ergebnis in den Vordergrund zu rücken.

Das Thema Smart City ist im Bereich der Mobilität  omnipräsent. Die Palette an Interpretationen rund um den Begriff «smart» ist breit und wird sehr individuell ausgelegt. Im Vordergrund stehen oftmals technische Innovationen rund um die Verkehrsmittel (z. B. Automatisierung)  sowie deren Verfügbarkeit und Vernetzung (z.B. «Mobility as a Service»). Trotz der Präsenz äussern sich die meisten Fachpersonen nur ungern prominent zu diesem Thema und überlassen das Feld einem kleinen, lauten Kreis von Wortführern. Einerseits ist die fachliche Fallhöhe gross; die Themenbreite und die Dynamik erschweren es, einen Überblick zu behalten. Andererseits wird man schnell in Schubladen gesteckt: entweder in die der pessimistischen Innovationsverweigerinnen oder in die der realitätsfremden Technikgläubigen.

«Wenn es [smart] vorwärts geht, fragt keiner wohin»

Kommen wir von den Schubladen zurück zur Smart City: Ob eine Lösung smart, also intelligent ist, lässt sich – frei nach Garri Kasparow – nicht am Weg, sondern nur am Ergebnis feststellen. In diesem Sinn ist es nebensächlich, ob die Lösung auf neuartigem digitalem oder eher bewährtem altmodischem Weg gefunden wird. Die Smart City-Debatte im Mobilitätsbereich dreht sich derzeit jedoch vor allem um den Weg (technische Innovationen) und weniger um das Ergebnis respektive den Beitrag zur Erreichung der Ziele. Ganz nach Klaus Klages: «Wenn es [smart] vorwärts geht, fragt keiner wohin.»

Der grosse Treiber der uferlosen verkehrlichen Auswirkungen bleibt zweifellos unser freiheitsliebendes Mobilitätsverhalten.

Doch ist das Wohin nicht bereits bekannt? In Richtplänen, Visionen und Leitbildern sind die Ziele der Verkehrswende festgelegt. Der Begriff «Verkehrswende» wurde sogar in den Duden aufgenommen. Auch über die verkehrsplanerischen Hauptherausforderungen herrscht weitgehend Einigkeit: stets gefordertes Wachstum bei erreichten Kapazitätsgrenzen, eine (wachsende) Vielzahl an Nutzungsansprüchen bei beschränkten räumlichen Verhältnissen und limitierten finanziellen Ressourcen sowie das schleichend akuter werdende und ungelöste Problem rund um das Klima .
Wenn also die Ziele und die Herausforderungen bekannt sind, warum tun wir uns mit der Umsetzung von Massnahmen so schwer? Bringen uns die neuen  technologischen Ansätze hierfür eine Erleichterung – oder eher eine spielerische Ablenkung?
Die durch Digitalisierung und technischen Fortschritt ausgerufene Verkehrswende wird teilweise dazu missbraucht, unangenehmen und einschränkenden Massnahmen auszuweichen. Die Hoffnung, dass beispielsweise kürzere Autofahrten durch die Nutzung von E-Scootern ersetzt werden können, hat sich bis jetzt nicht bestätigt. Der grosse Treiber der uferlosen verkehrlichen Auswirkungen bleibt zweifellos unser freiheitsliebendes Mobilitätsverhalten, das nur schwer anzutasten ist, sich aber künftig ändern muss.

Ideen und Lösungen

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Um das Verkehrsaufkommen während der Stosszeiten zu dämpfen, hat die Hochschule Luzern an ihrem Standort in Rotkreuz die Unterrichtszeiten leicht angepasst. Dadurch pendeln über 1000 Studierende, Dozierende und weitere Personen der HSLU ausserhalb der kritischen Hauptverkehrszeit und erlauben eine homogenere Auslastung des öffentlichen Verkehrs. (Bild: Metron AG)

Brechen von Verkehrsspitzen
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Mit Parklets oder Pop-up-Parks kann der öffentliche Raum mit einfachen Mitteln belebt werden. An verschiedenen Standorten in der Stadt Luzern wurden auf Initiative der QuartierbewohnerInnen Parkplätze temporär als Aufenthalts- und Verweilort und Treffpunkt umgestaltet. (Bild: Franca Pedrazzetti, Pop-up.Park Neustadt)

Pop-up-Parks
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Um die Anzahl oberirdischer Parkplätze zugunsten attraktiverer öffentlicher Räume zu reduzieren, fördert die Stadt Basel den Bau von unterirdischen Quartierparkgaragen. Die Parkplatzverordnung erlaubt beispielsweise, Parkplätze statt auf dem Baugrundstück in solchen Quartierparkgaragen auf weiter entfernten Grundstücken zu realisieren. Diese können zudem durch den Pendlerfonds mitfinanziert werden, der mit Einnahmen aus der Parkplatzbewirtschaftung der Stadt Basel alimentiert wird. (Bild: Amt für Mobilität, Kanton Basel-Stadt)

Quartierparkgaragen
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Welche Alternativen zum Flugzeug gibt es? Wie komme ich mit der Bahn nach Istanbul? Wo sind Fährverbindungen vorhanden? Tools wie rome2rio helfen bei der multimodalen internationalen Reiseplanung und beim Finden von alternativen Reisewegen. (Bild: Webseite rome2rio.com)

rome2rio
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Um den Anreiz zu erhöhen, nicht alleine, sondern gemeinsam mit dem Auto zu pendeln, testet der Kanton Genf beim Grenzübergang Thônex-Vallard seit Oktober 2018 eine sogenannte «Fahrgemeinschaftsspur». Diese darf nur von Fahrzeugen mit mehreren Insassen genutzt werden. Nach einem Jahr wurde erstes vorsichtig positives Fazit gezogen, weshalb der Testversuch um ein weiteres Jahr verlängert wurde. (Bild: Pixabay)

Fahrgemeinschaftsspur in Genf
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Herzogenbuchsee ist zu weitläufig um alle Brennpunkte attraktiv mit den bestehenden ÖV-Linien zu erschliessen, aber zu klein für einen herkömmlichen Ortsbus. Mit dem Mobilitätsangebot EBuxi wurde diese räumlichen und zeitlichen Lücke angegangen: Durch die Kombination von vielen freiwilligen FahrerInnen, lokalen Sponsoren, elektronischen Fahrzeugen und spezifischer Software etablierte sich ein On-Demand-Shuttle. (Bild: Hans Kaspar Schiesser)

EBuxi
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Tempo 30 ist für viele Problemstellungen eine einfache und effektive Lösung: Reduktion der Unfallrate von 15-25%, höhere Attraktivität und geringere Wartezeiten für den Fussverkehr, bessere Bedingungen für den Veloverkehr und Reduktion der Lärmbelastung in der Grössenordnung der Wirkung einer Verkehrshalbierung. Dies bei gleichbleibender bis höherer Leistungsfähigkeit der Strasse, keinem Ausweichverkehr in die Quartiere und einer marginalen Verlängerung der Reisezeit von ca. 2 Sekunden pro 100 Meter.

Tempo 30 auf Hauptverkehrsstrassen
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Mit offiziellen Fahrgemeinschaftsstationen werden im Grossraum von Genf Fahrgemeinschaften gefördert. Die Stationen ermöglichen eine Art «digitales Autostoppen», das heisst man kann per Anhalter mit Personen mitfahren, die dasselbe Ziel haben. Eine Reise wird durch Senden eines SMS-Codes mit dem gewünschten Zielort bestellt. Dieses Ziel wird den Autofahrenden, die in diese Richtung unterwegs sind, an der Station angezeigt. Kommt die Fahrgemeinschaft zustande, werden die Autofahrenden mit 2 Euro pro Weg entlohnt. (Bild: Genevois français / République et Canton den Genève)

Hé!Léman
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Mit Pikmi startet die Stadt Zürich in den Quartieren Altstetten und Albisrieden ihr erstes «on demand» ÖV-Angebot. In Zusammenarbeit mit ViaVan (u.a. «BerlKönig» in Berlin) werden bedarfsgerecht Fahrten angeboten, auf denen Fahrtwünsche mit ähnlichen Reisezielen automatisch gebündelt werden sollen. Dieses Rufbus-Angebot wird für 18 Monate den regulären Linienverkehr der VBZ in den Abendstunden ergänzen. (Bild: VBZ / Patrick Mattes)

Pikmi
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Im Rahmen eines Forschungsprojekts wurde in der Stadt Basel von 2015 bis 2016 eine für die Schweiz neuartige Lichtsignalsteuerung mit einem Pilotversuch geprüft. Bei der so genannten Langsamverkehrsphase ist es den Velofahrern erlaubt, während der Rundumgrünphase der Fussgänger die Kreuzung zu befahren. Den Fussgängern ist aber in jedem Fall der Vortritt zu gewähren. Die Ergebnisse des Pilotsversuchs sind in einem Schlussbericht zum Forschungsprojekt zusammengefasst. (Bild: Schlussbericht Forschungsprojekt SVI 2011/024)

Lichtsignal mit Langsamverkehrsphase
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Auf der Ehrendingerstrasse zwischen dem Surbtal und Baden treten zu den Hauptverkehrszeiten Stausituationen auf. Zur Gewährleistung eines störungsfreien Betriebs auf dieser wichtigen Busachse wäre eine eigene physische Busspur aufgrund der räumlichen Rahmenbedingungen nicht verhältnismässig. Durch eine elektronische Busspur wird nun der motorisierte Individualverkehr intelligent gesteuert, damit der Bus die Autokolonne überholen kann. (Bild: Metron AG)

Elektronische Busspur
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Durch die Lage beim Bahnhof Oerlikon und die später noch verbesserte Erschliessung des Gebiets mit Tram und Bus gelten restriktive Regeln zur Anzahl Parkplätze. Mit dem Fahrtenmodell wird zwar die Anzahl der Parkplätze im Perimeter aufgrund der Nutzungen festgelegt. Wie diese aber betrieben werden, spielt keine Rolle, solange die vorgeschriebene Fahrtenanzahl eingehalten wird. Die Mehrfachnutzung der Parkplätze ist damit möglich. Dies schafft Vollzugsicherheit für die Stadt und Flexibilität für die Grundeigentümer. (Bild: Metron AG)

Fahrtenmodell
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In der Schweiz laufen bzw. liefen mehrere Pilotprojekte mit selbstfahrenden Bussen. Wenn die technologischen Hürden (Begleitperson, Geschwindigkeit, Kapazität) überwunden werden können, bieten sich - neben Kosteneinsparungen auf herkömmlichen Linien - gerade in Quartieren, kleineren bis mittleren Städten und ländliche Siedlungsräume neue Potenziale. (Bild: Metron AG)

Selbstfahrende Busse
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«Die einfachste Fahrkarte. Schweizweit.» Damit bewirbt FAIRTIQ das eigene Angebot, des Check-In-Check-Out-Ticketings. Anders als beim klassischen Ticketing erfolgt hier die Abrechnung des Fahrtpreises erst nach Ende der Fahrt bzw. am Ende des Tages. Somit haben NutzerInnen die Möglichkeit automatisch von einer günstigeren Tageskarte zu profitieren. Ausserdem entfallen Überlegungen zu Tarifzonen. (Bild: Screenshot FAIRTIQ-App )

FAIRTIQ
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Von 2019 bis 2020 hat die Stadt Luzern die «Selbst-Steuerung» getestet, eine neuartige Steuerung für Lichtsignalanlagen. Diese reagiert flexibel auf die tatsächlich gerade vorliegende Verkehrssituation und sorgt so für eine flüssige Verkehrsabwicklung. Die Analyse des Tests in Luzern hat gezeigt, dass die Busse bei den Lichtsignalanlagen weiterhin priorisiert und gleichzeitig die Wartezeiten für die anderen Verkehrsteilnehmenden deutlich reduziert werden konnten. Die Stadt prüft nun weitere Standorte, an denen dieses Steuerverfahren eingesetzt werden kann. (Bild: Roland Müller Küsnacht AG)

LSA mit Selbst-Steuerung
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Auch wenn in den letzten Jahren viele neue Sharing-Anbieter im Mobilitätsbereich entstanden sind, mobility bleibt der Sharing-Klassiker, der auch tatsächlich Privatautos ersetzt und MIV-Fahrten reduziert. (Bild: Mobility Genossenschaft)

Sharing von Mobility
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Die öffentlichen Verkehrsmittelbetreiber in Genf (tpg) und Lausanne (tl) bieten ein multimodales Abonnement an. Dabei kann aus verschiedenen multimodalen Mobilitätspaketen ausgewählt werden. Nutzende können neben Bus und Tram in ein Taxi steigen, ein Auto oder Velo ausleihen (nur Lausanne) oder auf ein Carsharing-Angebot zurückgreifen (nur Genf). Zudem wird eine App für die multimodale Reiseplanung angeboten. (Bild: transports publics de la région lausannoise, tl)

Zengo

Öffnet die Schubladen für eine breite Debatte!

Um eines klarzustellen: Wir sehen optimistisch in die Zukunft und sind offen für Innovation. Die Hoffnung bleibt, dass sie den Schritt zu einem nachhaltigeren Mobilitätsverhalten erleichtern wird. Neben den technologischen Entwicklungen im Mobilitätsbereich im engeren Sinn werden aber vor allem die sozialen Trends, die unsere Verhaltensmuster beeinflussen, grosse Effekte auf die Mobilität und damit auf den erzeugten Verkehr haben.
Vermehrte mutige Versuche und Pilotprojekte sind unerlässlich, um die Wirkkraft und -richtung zu testen und vorausschauend notwendige steuernde Massnahmen zu initiieren. Wir wünschen uns eine ehrlichere und breitere Diskussion der Ergebnisse solcher Projekte. Dies zu ignorieren wäre einfach, doch es steht einiges auf dem Spiel: Neue Technik hat vielleicht heute nur einen spielerischen Reiz, doch sie wird den Alltag künftiger Generationen prägen. Versuchen wir also lieber, die Richtung zu steuern. Wäre es zynisch zu behaupten, dass die innovativen Pilotprojekte zuweilen als Marketingelement für die Zurschaustellung der Innovationskraft oder zur Auslotung neuer Geschäftsmodelle  genutzt werden? Nachhaltige Verkehrswende und gesellschaftliche Ziele stehen dabei wohl eher im Hintergrund.

Öffnen wir neue Schubladen für notorische Verkehrswendepocherinnen und experimentierfreudige Grünschnäbel. Mindestens diese Rollen sind im laufenden Diskurs kaum hörbar. Gerne dürfen sich weitere Stimmen anschliessen, egal aus welcher Schublade. Nehmen wir uns des glitschigen Fischs an und bringen wir uns vermehrt in die Debatte für eine zukünftige intelligente Mobilität ein. Denn der Zeitpunkt könnte nicht besser sein: «Zukunft – nie war sie so nahe wie heute» (Hubert Burda).

Matthias Oswald und Alex Stahel

Projektleiter bei der Metron Verkehrsplanung AG. Gemeinsames Studium der Raumentwicklung und Infrastruktursysteme an der ETH Zürich (Abschluss 2012), heute teilen sie sich nun auch ein Büro.