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Die intelligente Stadt planen

Katrin Seidel

Wie können wir mit der wachsenden Komplexität in der städtebaulichen Planung umgehen? Höhere Dichte, sich verändernde Mobilität, kompliziertere Infrastrukturen, alternde Bevölkerung und Konsequenzen des Klimawandels müssen einbezogen werden. Das Konzept der Smart City verspricht Antworten durch technologischen Fortschritt – aber stimmt das?

Im Unterschied zu anderen urbanen Transformationen seit dem vorletzten Jahrhundert, wie dem Bau einer zentralen Wasserversorgung und -entsorgung ab 1850 oder der autogerechten Stadt ab 1950, sollen Digitalisierung , intelligente und vernetzte Planung heute Verbesserungen in einer Vielzahl von Lebensbereichen mit sich bringen. «Dabei ändern sich mit der Digitalisierung die städtischen Funktionen im Prinzip nicht, sondern lediglich die Geschwindigkeit und der Grad von Vernetzung und Kontrolle.»1

Spürbare Veränderungen im Planerinnenalltag

Im Planerinnenalltag ist spürbar, wie schnell die Digitalisierung voranschreitet. Wo noch vor zehn Jahren Kataster-, Kanalisations- und Leitungspläne mühsam einzeln bestellt werden mussten und als schlechte Kopien per Post eintrafen, können diese Daten nun bequem als digitaler Gesamtplan abgerufen werden. Geländemodell und Gebäude sind bereits als 3D-Daten verfügbar.2 Smart wird es dann, wenn mit diesen Daten noch weitere Informationen verknüpft sind. Damit könnten verschiedene Bereiche vernetzt  und gesteuert werden, zum Beispiel Instandhaltung der Infrastruktur durch Einbezug von Lebenszyklusdaten, Anergienetze (Wärme, die beispielsweise in Rechenzentren im Überfluss entsteht, kann genutzt werden, um eine Siedlung zu beheizen), Parkraumbewirtschaftung durch Überlagerung der verschiedenen Nutzungsfenster, Rückbau und Wiederverwertung von Bauteilen.

Wo noch vor zehn Jahren Kataster-, Kanalisations- und Leitungspläne mühsam einzeln bestellt werden mussten und als schlechte Kopie per Post eintrafen, können diese Daten nun bequem als digitaler Gesamtplan abgerufen werden.

Smart City-Konzepte – wer sind die Protagonisten?

Smart-City-Konzepte inszenieren sich mit techniklastigen Visualisierungen: leuchtende Versorgungsleitungen und hypermoderne Fassaden in einer grünen Stadtlandschaft. «Als visuelle Darstellungen der Smart City suggerieren sie, dass Stadtwachstum eine Reihe von Problemen verursache, für die es smarte, auf Übertragung und Integration von Daten basierende digitale Lösungen gebe.»3 Bei den technologieoptimistischen Lösungsversuchen ökologischer und sozialer Probleme muss nach den Protagonisten gefragt werden: Wer definiert die Probleme (und die zugehörigen Lösungsansätze) in einer Stadt? Die Bewohnerinnen, die Planerinnen, die Stadtverwaltung oder gar die grossen Konzerne? Welchen Einfluss haben die angebotenen smarten Lösungen auf die Verwaltung, die Planung und die Nutzung von Städten und Räumen? Wer profitiert im Hinblick auf gemeinschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten oder ökonomischen Gewinn?

Baden gestern und heute

Baden gestern und heute – ein Dokumentarfilmtrailer über Fragen der Stadtplanung 1965/2020

Die Musik von Pepe Lienhard, die Stimme des Sprechers und die langsame Erzählweise des Films von 1965 wirken heute anachronistisch. Doch die Vertiefung lohnt sich: Die im Film aufgezeigten Herausforderungen sind nach wie vor aktuell – nicht nur in Baden.

Hier gehts zum Film von 1965 in Originallänge

Wellen des Technikoptimismus

In der Planungsgeschichte der vergangenen zwei Jahrhunderte wechseln sich Technikoptimismus und Technikkritik in einer wellenförmigen Bewegung ab. Es lohnt sich, zur letzten grossen Welle des Technikoptimismus in den 1960er Jahren zurückzuschauen: Auch die Metron-Gründer vertrauen in hohem Mass auf die neuen Möglichkeiten und fordern computergestützte Datenerhebungen, um die komplexen Systeme von Raum, Wirtschaft und Gesellschaft adäquat und exakt erfassen zu können.4
Hans-Rudolf Henz beschreibt die Stimmung in der Gründungszeit der Metron so: «Es gab einen grossen Planungsbedarf, man glaubte, mit Planung die Welt retten zu können. Suchte Instrumente, um eine glückliche Welt zu schaffen. Die 50er Jahre gelten als Zeit der grossen Stagnation. Erneuerungen wurden aufgeschoben: Das kippte in den 60ern in eine Erneuerungshysterie. Da ist Metron voll eingestiegen.»5

«Es gab einen grossen Planungsbedarf, man glaubte, mit Planung die Welt retten zu können.» Hans-Rudolf Henz

Die «Gesamtplanung der Stadt Baden», 1964 von der Arbeitsgruppe für Planungsgrundlagen, der späteren Metron, zusammen mit zwei Partnerbüros verfasst, ist ein Musterbeispiel für die Denkweise und die Methode, nach der die junge Arbeitsgemeinschaft zu arbeiten gedachte. Diese Herangehensweise könnte als Kombination von sozialwissenschaftlichen Methoden und Datenverarbeitung beschrieben werden. «Bei diesem Auftrag handelte es sich – nach heutigen Begriffen – darum, ein Entwicklungsleitbild, ein Erschliessungskonzept und den geeigneten Nutzungsmix für die Badener Innenstadt zu finden, dies unter Berücksichtigung bzw. Lösung des in Baden besonders drängenden Verkehrsproblems und unter realistischer – nämlich wissenschaftlich erhobener – Einschätzung der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung. Aus der rechnerischen Verknüpfung der Wachstumsprognosen mit den ebenfalls erhobenen vorhandenen Laden- und Büroflächen liess sich eine ganz präzise Aussage über den künftigen Bedarf an Dienstleistungsflächen und den Wohnanteil in der Badener Innenstadt formulieren.» Heute profitieren wir von der damals etablierten interdisziplinären Struktur der Metron.

Robuste Strukturen – resiliente Städte

«Learn to leverage technology to make the city of the future work like a small village in the past.»8 Diese Aussage aus dem aktuellen MIT-Prospekt zum angebotenen Smart City-Lehrgang lässt fast ein wenig schmunzeln. Sie verweist jedoch darauf, dass es oft gerade die historisch gewachsenen Orte bzw. Strukturen aus dem Städtebau des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts sind, die wir in Städten suchen und lieben, während Infrastrukturen aus den 1960er und 1970er Jahren heute manchmal Kopfschmerzen bereiten.
Klimawandel, veränderte Mobilität und die Frage, wie wir bei grösserer Dichte trotzdem einen qualitätvollen Lebensraum planen können, sind neue Herausforderungen  – «in vielerlei Hinsicht basiert ein Smart-City-Konzept doch lediglich auf guter Stadtplanung, die sowohl Fortschritte in den digitalen Technologien als auch neue Denkansätze für alte Konzepte wie Beziehungen, Gemeinschaft, Nachhaltigkeit und Partizipation berücksichtigt»9. So wie auch die Metron-Gründer Themen wie Menschlichkeit und Wohnlichkeit bei ihren Planungen in den Vordergrund stellten.
Eine gesellschaftliche Debatte zur Digitalisierung, in der es nicht nur um die technologische Machbarkeit, sondern auch um Datenhoheit und soziale Gerechtigkeit geht, ist deshalb unbedingt notwendig.

 

Katrin Seidel

Studium Architektur und Städtebau in Dortmund und Venedig. Zunächst als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dortmund und an der ETH Zürich in Forschungsprojekten zu Industrie­ kultur und Ressourcenerhalt tätig. Seit 2012 als Architektin bei Metron, unter anderem im Wettbewerbs­ und im Städtebauteam engagiert.