Big Data, Tracking, Urban Modeling und Simulation – die Palette der digitalen Angebote und Möglichkeiten wächst rasant, auch in der Planungswelt. Aber worin besteht der Mehrwert der Digitalisierung? Und wann ist bei aller Technik der Mensch gefragt?
In der Stadtplanung sind Computer und digitale Rechenprozesse längst nicht mehr wegzudenken. Bereits die ersten Planungsschritte sind geprägt vom Zusammenspiel digitaler Tools und analoger Methoden: vom Zusammentragen der (Daten-)Grundlagen, vom Analysieren, dem Lesen der Orte, dem Zuhören vor Ort. Geographische Informationssysteme (GIS) werden seit den 1980er Jahren eingesetzt und stetig weiterentwickelt. Die Möglichkeit, Registerdaten wie Gebäude- oder Einwohnerdaten mit räumlichen Informationen zu verknüpfen, bedeutete einen Meilenstein für die Analysephase: Plötzlich konnten auf einfachste Weise parzellen- und gebäudescharfe Grundlagen erstellt werden. In der jüngeren Vergangenheit eröffnen sich mit der Verfügbarkeit und den Verarbeitungsmöglichkeiten sehr grosser Datenmengen (Stichwort Big Data) sowie neuen Datenquellen wie Trackingdaten von Mobiltelefonen wieder neue Wege. Die Swisscom beispielsweise wertet die mobilen Daten ihrer Nutzer kontinuierlich aus, verkauft diese anonymisiert und ermöglicht es so unter anderem, Bewegungsmuster auszuwerten und einer (Verkehrs-)Planung zugrunde zu legen.
Ein neues Quartier in Sekundenschnelle
Im Bereich der digitalen Visualisierungs- und Simulationstools reicht die Auswahl von einfachen 3D-Visualisierungen, Animationen und Augmented- bzw. Virtual Reality-Anwendungen über Szenarienvergleiche und Simulationen bis hin zu parametrisierten Entwurfstools. Sind 3D-Visualisierung und Animationen bereits Standard in der Planungspraxis, finden sich Simulationstools und Modellierplattformen häufig erst im Forschungsbereich und in einzelnen Pilotprojekten. Bereits 2013 wurde die vom Sustainable Design Lab, einer Forschungseinheit des Massachusetts Institute of Technology, entwickelte Simulationsplattform UMI (Urban Modeling Interface) vorgestellt, mit der ganze Stadtteile modelliert und beispielsweise hinsichtlich Energieverbrauch, Begehbarkeit oder Tageslichtpotenzial beurteilt werden können.
Mithilfe von künstlicher Intelligenz und Machine Learning machen Modelle es möglich, in kürzester Zeit und gesteuert durch im Vorfeld definierte Parameter unterschiedliche städtebauliche Szenarien zu erstellen.
Ein aktuelles Beispiel für Simulationen liefert das 2019 eröffnete City Intelligence Lab des Austrian Institute of Technology: Mithilfe von künstlicher Intelligenz und Machine Learning machen Modelle es möglich, in kürzester Zeit und gesteuert durch im Vorfeld definierte Parameter unterschiedliche städtebauliche Szenarien zu erstellen – oder andersherum unterschiedliche Projektvorschläge zu vergleichen und zu validieren. Langwierige Berechnungen der optimalen Gebäudeausrichtungen und -höhen für das bestmögliche Quartierklima oder die kürzesten Wege gehören so der Vergangenheit an.
Analog und digital – zur rechten Zeit im rechten Mass
Ist damit auch die Zeit des langjährig ausgebildeten Stadtplaners vorbei? Mitnichten! Ob digitale Analyse, Visualisierung oder Simulation – darauf aufbauen kann und muss nach wie vor eine planerische und politische, sprich «analoge» Auseinandersetzung. Die digitalen Planungstools sind dabei unerlässliche Werkzeuge, die unsere Möglichkeiten erweitern, bestimmte Analysen erst ermöglichen und grosses Potenzial besitzen, Planungsergebnisse akkurater und robuster zu machen.
Wichtig dabei sind das richtige Mass und der passende Einsatzmoment von analogen Methoden und digitalen Tools. Zu Beginn eines jeden Planungsprozesses entscheidet noch immer der Mensch, was überhaupt analysiert oder simuliert werden soll. Dann darf der Computer arbeiten, dessen Analyse- oder Simulationsergebnisse wiederum der Planer «analog» interpretiert, abwägt, diskutiert, verhandelt und letztendlich in seine Entscheidungen einfliessen lässt.
Dieser Ablauf zeigt, worin das grosse Potenzial der digitalen Anwendungen steckt: nämlich in der Bereitstellung fundierter Grundlagen. So erleichtert es die Analyse grosser Datenmengen oder neuer Datenquellen, Handlungsbedarf klarer aufzuzeigen, woraus wiederum spezifischere Lösungsansätze entstehen können. Visualisierungen oder Simulationen unterschiedlicher Lösungsvorschläge können zukunftsweisende Entscheide untermauern – oder überhaupt erst ermöglichen; und sie können Vorurteilen und Klischees Fakten entgegenstellen.
Als Planerinnen und Planer loten wir die Möglichkeiten immer wieder neu aus, seien sie analog oder digital. So sind wir in der Lage, fundierte Grundlagen für die Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse zur künftigen Entwicklung unserer Städte und Gemeinden zu schaffen.
Jürgen Hengsberger
MSc ETH in Raumentwicklung SIA, Dipl.-Ing. Landschaftsarchitektur/-planung. Seit 2012 Raumplaner bei der Metron Raumentwicklung AG im Bereich Stadt- und Arealentwicklung mit dem Fokus auf interdisziplinäre Stadtentwicklungsprojekte, die Transformation und Verdichtung bestehender Siedlungsräume.